Bahamabeige
Bahamabeige, Foto-Film, HD-Hochformat, 19 Min, 2022.
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Zum ersten Mal gehört habe ich dieses Wort zu einer Zeit, als die Farbe bereits am auslaufen war.
Nachdem meine Großmutter nämlich gestorben war, machten sich meine Eltern daran, ihre Wohnung leer zu räumen. Die hatte im Erdgeschoss unseres Hauses gelegen. Dabei verringerte sich der Besitz meiner Großmutter nicht nur dadurch, dass Dinge unter den Verwandten aufgeteilt, oder an andere verschenkt, und überflüssig Gewordenes weggeworfen wurde. Einige Dinge gingen bei der Wohnungsauflösung auch einfach zubruch. Wie etwa der eine der zwei massiven Lampenschirme aus Glas, die an beiden Seiten des riesigen ovalen Spiegels über dem Waschbecken hingen. Der war superschwer und war meiner Mutter beim Saubermachen aus den Händen geglitten und auf dem Kachelboden zersprungen.
Dieser Badezimmerspiegel, sowie der gesamte Rest des Bades, war 1978 in unser Haus gekommen und eigentlich längst aus der Mode. Nichtsdestotrotz wollten meine Eltern das Badezimmer nach dem Tod meiner Großmutter möglichst erhalten, da es halt auch in völlig einwandfreiem Zustand war. Das Badezimmer in ihrer eigenen Wohnung hatten sie selbst vor Kurzem erneuern lassen. Ich vermute, dass sie deshalb noch sehr gut in Erinnerung hatten, dass so eine Renovierung vor allem eine Menge Dreck und Umstände bedeutet.
Und mit diesen Umständen und mit dem Dreck sind meine Eltern übrigens gar nicht so allein. Das kann man auf den Websiten und in den Umfragen nachlesen von Sanitärverbänden und Badezimmer-Keramik-Industrievereinigungen. Da kann die Baukonjunktur nämlich noch so sehr anziehen, aber nur relativ wenige Haus- und Wohnungsbesitzer entscheiden sich dazu, auch ihre Badezimmer zu renovieren. Sicherlich auch weil das relativ teuer ist. Also Kacheln abtragen, neue Aufbringen, die ganzen Handwerkerkosten, und dann das Material, die Kacheln selbst, Waschbecken, Duschwannen, Wasser-Armaturen.
Gleichzeitig ist es aber eben auch so: diese Kacheln, Toiletten, Waschbecken und all das, das ist extrem langlebig. Diese Keramikoberflächen, die sehen nicht so schnell schäbig aus, wie beispielsweise die Laminierung einer Küchenarbeitsplatte.
Und so überleben auch die alten Farben, die man mal für das Badezimmer ausgesucht hat, über Jahrzehnte.
Und diese Farben meiner Kindheit: Die waren alle mal eine zeitlang modern.
Und dann sind sie es für viel längere Zeit nicht mehr.
Nun, einzig diesen Lampenschirm galt es also für meine Mutter zu ersetzen. Im örtlichen Sanitärhandel fahndete sie nach etwas Passendem. Der gleiche Lampenschirm, soviel war schnell klar, war nicht mehr erhältlich. Aber immerhin gab es noch Firmen, die so ähnliche Glasschirme noch im Lager hatten. Farblich sollte das neue Glas zum Ton der Sanitärkeramik passen, meinte meine Mutter. Und als sie der Verkäuferin die Farbe beschrieb, da meinte die: „Ach, Sie meinen Bahamabeige.“
Und das war dann das erste Mal, dass ich von Bahamabeige gehört habe. Die meisten, denen ich heute davon erzähle, die haben noch nie davon gehört.
Also: Das Wort Bahama stammt aus dem Spanischen baja mar, die Bezeichnung für die niedrigen Gewässer um die Inselgruppe Bahamas zwischen Kuba und Florida.
Als Farbe für Waschbecken und Badewannen, Flach-, Kaskaden- und Tiefspüler und das alles, gab es nicht nur Bahamabeige, sondern auch Bermudablau, Sorrentoblau, Balibraun, Manhattan, Broadway, Ägäis, Capri, Pergamon, Keywest – aber auch Vanille, Cognac, Caramel, Curry.
Sunset, Calypso, Aloa, Carneol, Rubinrot, Pearl, Bernstein, Bambus, Azalee, Jasmin, Magnolia und Flieder – und das total berühmte Moosgrün.
Vielleicht kann man sich also schon anhand all dieser Farbnamen vorstellen, wie eine Badezimmerausstellung in einem Sanitärfachhandel ausgesehen haben muss damals. Nämlich voll psychedelisch! Das muss total bunt gewesen sein, und glänzend von dem Licht, dass sich auf den Oberflächen der Keramikglasuren bricht.
Und aus so einer Bad-Ausstellung kaufte mein Vater, der damals in einer Sanitärfirma angestellt war, das neue Badezimmer meiner Großeltern zusammen. Also alles Ausstellungsexemplare. Mein Vater, als ich ihn befrage, sagt, das war eine bewusste Entscheidung für Bahamabeige. Er wollte, und das sagt er explizit, auf keinen Fall Moosgrün.
Er fand, das Bahamabeige, das wirkte moderner.
Es ist das Haus der Familie meines Vaters. Sein Großvater hatte es gebaut, nachdem er aus Krieg und Kriegsgefangenschaft nach Hause kam. Er gründete dann seinen eigenen Tischlerei-Betrieb und baute auch das neue Haus für seine Tochter, meine Großmutter. Das war eine Familie von politisch aktiven Sozialdemokraten. Schon der Großvater meiner Oma war für die SPD Bürgermeister im Dorf, er wurde von seinem Cousin, einem Nazi, abgesetzt.
Und ihr Vater hatte dann mit einigen Mitstreitern in den 1930er Jahren begonnen, heimlich Geld und Güter für ein paar in Not geratene Familien in unserer Stadt zu sammeln, die von den Nazis denunziert und verhaftet worden waren. Dafür wurde mein Urgroßvater dann wiederum selbst auch denunziert und von den Nazis angeklagt und für mehrere Jahre ins Gefängnis gesteckt. Die Familien der Leute, die meinen Urgroßvater damals verraten haben, die wohnen auch heute noch im Dorf. Und kaum war er dann aus dem Gefängnis wieder entlassen, wurde er als Soldat nach Russland geschickt – an die Front, als Kanonenfutter, wie es bei uns immer hieß.
Meine Großmutter und ihre Mutter, die hatten in der Zeit so gut wie kein Einkommen. Meine Großmutter ist 1925 geboren. Man kann sagen, dass ihre Kindheit und gesamte Jugend wirklich von Armut, vielen Entbehrungen und harter Arbeit geprägt war. Ich erinnere mich an viele Geschichten, die sie mir erzählt hat. Und – je älter ich selbst werde, desto stärker treten aus ihren Erzählungen diese ganzen körperlichen Aspekte in meiner Wahrnehmung in den Vordergrund. So viele Dinge, die sich in ihren Körper eingeschrieben haben, aber auch in ihre Psyche.
Also Hunger, sogar auch Durst, harte körperliche Arbeit, und dabei schlimme, auch intime Verletzungen, das Zittern am ganzen Körper bei nächtlichen Hausdurchsuchungen, ewiglange Fußmärsche nach Hause durch die Dunkelheit weil keine Bahnen fuhren, Atemlosigkeit im Schutzbunker. Die Traumatisierung meiner Großmutter, ihrer Mutter, ihres Vaters, meines Vaters - der kurz nach meiner Geburt mit Bahamabeige Karibikfeeling in das Badezimmer seiner Eltern lässt.
So eine Sehnsucht nach braunem Sand, aber auch vielleicht nach grünen Palmen und türkisblauem Meer.
Ich wollte wissen, wer die Farbe erfunden hat. Wann, wo, wieso. Farben wie Indigo und Purpur, ihre Gewinnung und Geschichte sind zwar sehr gut aufgearbeitet. Aber solche modernen Industriefarben wie das Bahamabeige und ihre Bedeutung und Verwendung - das hat halt schon so etwas fast Exotisches aufgrund dieser profanen Alltäglichkeit. Dieses Ephemere, das macht so viele Dinge in gewisser Weise unsichtbar.
Wie geht das also heute? Wenn einer sagt, hier: wir haben hier diese Farbe erfunden, wollt ihr die nicht auch benutzen? Also fing ich mit so einem erstmal zaghaften Herumtelefonieren an.
Bei Villeroy & Boch, da kommt nämlich das große Waschbecken her, landete ich erstmal im Firmenmuseum, doch die nette Direktorin, die im Archiv mal nach alten Preislisten schauen wollte, um wenigstens herauszufinden aus welchem Jahr die Farbe stammt, konnte leider nichts finden, sie rief im August extra noch mal bei mir an, Monate nach meinem ersten Anruf.
Bei Farben denke ich auch immer an das RAL-Institut, und deren Farbnummern auf den Deckeln der Farbdosen im Baumarkt – ich rufe dort an und werde mit einer Mitarbeiterin im Labor verbunden. Ich frage sie ob das, was als Bahamabeige vermarktet wurde, vielleicht in echt ein Beige aus der RAL-Palette sein könnte, Hellelfenbein zum Beispiel, mit der Nummer 1015. Dass sie dort vielleicht die Farbe "konzipiert" haben, und dann eben an Keramikfirmen verkauft, oder lizensiert haben.
Aber dem, sagt die RAL-Mitarbeiterin, wäre nicht so, das wüsste sie. Im Lauf des Gesprächs erwähnt sie, dass viele der Standard-Farben in den 1960er Jahren kreiert wurden und manche Pigmente für ihre Herstellung inzwischen gar nicht mehr erhältlich sind, oder dass manche Farben Substanzen enthalten, die inzwischen verboten sind.
So ergeben sich Farbabweichungen über die Zeit.
Was früher mal Bahamabeige war, könnte heute also theoretisch nicht mehr die wirklich gleiche Farbe sein, weil sie nun aus anderen Inhaltsstoffen besteht.
Sie erzählt mir von der europäischen REACH-Verordnung, die seit 2008 Zulassungen und Beschränkungen von Chemikalien in der EU festlegt, Gesundheits- und Öko-Standards. Reach hätte beispielsweise dazu geführt, dass sich manche Farben über den Lauf der Zeit verändert haben.
So etwas in der Art habe ich mal über Parfüms gehört: manche Klassiker des 20. Jahrhunderts duften inzwischen minimal anders, wenn man sie heute kauft, weil einige der Inhaltsstoffe im Zuge neuer Verordnungen nicht mehr für kosmetische Produkte verwendet werden dürfen. Das berührt mich irgendwie.
Sie erzählt mir von der europäischen REACH-Verordnung, die seit 2008 Zulassungen und Beschränkungen von Chemikalien in der EU festlegt, Gesundheits- und Öko-Standards. Reach hätte beispielsweise dazu geführt, dass sich manche Farben über den Lauf der Zeit verändert haben.
So etwas in der Art habe ich mal über Parfüms gehört: manche Klassiker des 20. Jahrhunderts duften inzwischen minimal anders, wenn man sie heute kauft, weil einige der Inhaltsstoffe im Zuge neuer Verordnungen nicht mehr für kosmetische Produkte verwendet werden dürfen. Das berührt mich irgendwie.
Und im World Wide Web finde ich dann irgendwann den Kontakt zur Technischen Abteilung der Firma Gerberit, die machen auch Waschbecken, Badewannen, etc. Mein Gesprächspartner ist der Leiter der Abteilung Technik.
Was sie in Bahamabeige noch auf Lager hätten? Da sagt der Mitarbeiter: Aufputzspülkästen – aber ansonsten? Da müsste man mal nachschauen.
Mit einer Frage nach Bahamabeige kämen Leute, die hätten ein Bad, so 30-40 Jahre alt, in das sie aber nicht mehr so viel Geld stecken wollen. Heute könnte man, wenn man etwas aus Kunststoff sucht, das ja kostengünstiger so machen, dass man in eine Autolackiererei gehe mit einem Teil in der Farbe und die können das dann abscannen und so die Farbe ermitteln und dann anmischen.
Bei der Entwicklung neuer Farben orientiere man sich stark an der RAL-Palette.
Damals noch, mein Gesprächspartner bespricht sich da mit einer Kollegin, hätte der Zentralverband Keramiken in Frankfurt Farbbezeichnungen ausgegeben und sogenannte Urmuster zu Verfügung gestellt, nach denen man die Farben firmenintern nachgemischt hätte.
Er schaut kurz online nach, anscheinend gibt es den Verband unter diesem Namen gar nicht mehr, aber er findet da den Fachverband Sanitär-Keramische Industrie e.V.
Unter meine Notizen, das sind jetzt hier alles Gedächtnisprotokolle, schreibe ich mit einem Ausrufezeichen: sehr gutes Gespräch!
Weiter also beim Fachverband Sanitär-Keramische Industrie e.V., FSKI abgekürzt. Dort erhalte ich drei weitere Kontakte, bei Bette, wieder bei Villeroy & Boch und bei Duravit.
Der Verkaufsleiter der Sanitärkeramik-Firma Bette, 1952 in Delbrück in Nordrhein-Westfalen gegründet, erklärt mir die Entwicklung einer Farbe wie Bahamabeige so: Ein Keramikhersteller hat sich diese Farbe und die Farbbezeichnung ausgedacht und sie ins Programm genommen. Als die Farbe sich als beliebt herausgestellt hat, haben andere Keramikhersteller sich ein Farbmuster geben lassen und danach die Farbe selbst angemischt. Es gebe immer kleinere Farbabweichungen, je nach Material, auf das die Farbe aufgebracht wird, oder in das sie gemischt wird. Eine Farbe sieht in Kunststoff zum Beispiel immer anders aus auf Emaille.
Haben sich ein Farbmuster geben lassen
Urmuster
Und dann lande ich also wieder bei Villeroy & Boch am Telefon. Diesmal spreche ich mit einem Mitarbeiter der Produktentwicklung. In den 1980ern gab es noch ca 40 Farben im Angebot. Er selbst ist seit über 20 Jahren dabei, war tatsächlich aber nur an zwei Farbentwicklungen beteiligt: bei Starwhite, und bei Natura (ein beige, etwas heller als Bahamabeige und auch schon eine Auslauffarbe). Das heißt aber nun auch wirklich: da passiert jetzt nicht mehr so viel in Sachen Sanitärfarben.
Das Bahamabeige, sagt er, sei eine sogenannte Verbandsfarbe, das heißt, sie soll überall gleich aussehen, bei allen Herstellern.
Ob Villeroy & Boch die Farbe erfunden hat, weiß er aber nicht, aber er würde sagen, sie haben auf jeden Fall die Urmuster hergestellt, die an andere Firmen verschickt worden sind, so dass die ihre Farben dementsprechend anmischen konnten.
Glasuren für die Keramiken, zum Beispiel.
Und – wie sieht so ein Urmuster aus? - Das ist eine Keramikplatte.
Kurze Zeit später dann das Gespräch mit dem leitenden Produktmanager bei der Firma Duravit.
Hier erfahre ich, dass die Reachnorm bei Duravit definitiv keine Auswirkung auf Bahamabeige gehabt habe, weil die Farbe zu dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reach-Norm, also 2008, bei Duravit schon aus dem Programm war. Er bittet mich um ein paar Tage Zeit, um Gelegenheit zu finden, mal zu schauen, was er bei ihnen sonst noch über Bahamabeige finden kann.
Und ja, nach ein paar Tagen schreibt er mir eine Email:
Die älteste Preisliste, in der Bahamabeige bei ihnen verzeichnet war, und die sie auf die Schnelle haben finden können, stammt aus dem Jahr 1976. Aber sicher sei die Farbe aber schon ein paar Jahre älter.
Und der Farbautor sei, nach ihren Unterlagen, die Firma "Ideal Standard".
Von meinem Vater weiß ich schon: Früher Hauptsitz in Deutschland, heute Belgien.
Und dann kommt auch noch Post von Duravit: eine kleine Musterkachel, eine Farbprobe von Bahamabeige. Sie ist rund, so vier Zentimeter Durchmesser, ein bisschen konvex. Hinten drauf ist der Firmenname aufgedruckt, eine Nummer, und der Farbname.
Diese Farbkachel, die fühlt sich ganz neu und unberührt in meiner Hand an, und dabei ist sie schon so alt.
Am Ende war meine Großmutter ganz schön dement. Ein bisschen wirr, es gab keine anderen Geschichten mehr als die vom Krieg, die sie schon immer erzählt hatte. Als sie noch ein bisschen jünger war, da waren sie noch durchwirkt von Erlebnissen aus dem Alltag einer berenteten, verwitweten Seniorin. Und am Ende, da gab es eben nur noch die Geschichten aus dem Krieg.
Zum Schluss kam es sogar vor, dass sie wochentags in Richtung Kirche lief, sie hätte eigentlich gar nicht mehr alleine rausgesollt, weil sie dachte, es sei Gottesdienst, dann war da keiner, und dann bat sie irgendwen auf der Straße, ihre völlig ausgebeulte aber irgendwie cool wild gemusterte Leggins wieder hochzuziehen oder die beigen Ecco-Turnschuhe zu binden, alles war so ein bisschen durcheinander geraten beim Gehen. Und wie es eben so ein Dorf braucht, um Kinder zu erziehen, wie man so schön sagt, wenn ihre Streiche zu sehr aus dem Ruder laufen. So braucht es auch so ein Dorf, in dem dann schon irgendwer Zeit hat, die Hose von irgendeiner Alten zu richten und ihren Geschichten zuzuhören. Weil da durch den Sand - immer wieder etwas durchbricht, das erzählt werden will.